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Bärentatzen & Bullenhufe (2009)






GZSZ
(09/12/31)

Wenn beinahe täglich über die Zentralbanken geschrieben und berichtet wird, wenn in der Schweiz fast jeder den Präsidenten der Nationalbank kennt (und Monate im voraus den Namen des Nachfolgers nennen kann), dann steckt der Karren im Dreck, dann ist Feuer im Dach.

Besonders in der Schweiz wirkt die Staatsbank eher im Stillen fürs Wohl der Volkswirtschaft, sie bestimmt unabhängig trocken die Geldmarkt- und Währungspolitik des Landes — egal, welchen Grashalm schmalbrüstige Politiker gerade lauthals markieren, denn «Es gibt weder eine linke noch eine rechte Geldpolitik, es gibt nur eine schlechte oder eine gute»¹. Die Manager der SNB sind kaum Stars, sondern einfach hochkompetente Schaffer im Hintergrund («The Swiss National Bank [is] arguably the best-managed central bank in the world»²). Hübsch, dass einige ihrer Exponenten dennoch bei Bedarf im Rampenlicht greifbar sind und sogar sympathisch erscheinen: Jean-Pierre Roth, Philipp Hildebrand und Konrad Hummler oder früher Alexandre Hay, Fritz Leutwiler und Leo Schürmann.

«Schweizerische Nationalbank 1907»
Schweizerische Nationalbank, Bern und Zürich 1907,
Gründerzertifikat über zehn Aktien zu je CHF 500 (hälftig einbezahlt),
(big sowie das 1er- und 5er-Stück)

Die SNB hat seit der Eröffnung ihrer Schalter im Juni 1907 nicht in jeder Lage und zu jeder Zeit das Gelbe vom Ei gerfunden (ein Beispiel zu knapper Geldpolitik zeigt der Artikel über die Anleihen «Amerika»), aber mir scheint, sie leistete — gerade in den letzten Jahren und Monaten — mit schlüssigem Einfallsreichtum und klarer, zielgerichteter Umsetzung unter dem berühmten Strich sehr gute Arbeit, denn sonst hätte die Schweizer Volkswirtschaft den Abgrund mehrmals aus der Froschperspektive betrachten dürfen.

«Schweizerische Nationalbank Entwurf»
Schweiz. Nationalbank, ca. 1906, ein nicht ausgeführter Entwurf (big)

Bin weder Crash- noch Gold-Guru, und wie die als Folge der Finanzkrise hochverschuldeten Länder (vorab massgebend die Vereinigten Staaten, Deutschland und auch Grossbritannien) ihre ungedeckten Nullen aus den Bilanzen streichen wollen, weiss ich nicht; es sind jedenfalls äusserst beeindruckende, sogar erschreckend dunkelrote Zahlen … Wahrscheinlich flattern bald höhere Steuerrechnungen ins Haus, und einen nicht geringen Teil «bereinigt» man wohl oder übel inflationär. Zwar geht jede -flation mit Sorgen und Schwierigkeiten einher, aber eine hohe Inflation ist immer Diebstahl an der Mehrheit einer fast jeden Gesellschaft, nämlich am Mittelstand, und eine Hyperinflation ist dann schlicht der tödliche Strang jeder Volkswirtschaft.

«U.S. gross public debts 1940-2009»
die Entwicklung der U.S.-Staatsschulden beeindruckt zwar,
aber aussagekräftiger sind die Verhältnisse
(courtesy of usgovernmentspending.com³)

Hyperinflationen sind äusserst selten und gemäss gängigem Risk Management der gestandenen Ökonomie zu vernachlässigen, z.B. im Vergleich mit der erstaunlicherweise überlebten H1N1-Pandemie, der sakrosankten Klimakatastrophe oder dem (doch wahrscheinlichen) «Big One»-Erdbeben in Kalifornien — aber sie sind häufigere Tatsache: Der San Andreas-Graben rülpste deftig 1906, wärmende Pluswerte waren im Mittelalter an der Tagesordnung, und die Schutzmasken warten weiterhin geduldig auf ihren Einsatz. Nassim Nicholas Talebs «Schwarze Schwäne» zeigen: Wir belohnen das Bekannte, hyperventilieren (einigermassen) auf Kommando und blenden menschlich bequem & gekonnt das denkbar «Unwahrscheinliche» aus — wann denke ich z.B. an meinen eigenen vorhersehbar felsenfest sicheren, nicht wissentlich terminierten, aber persönlich ziemlich einschneidenden Tod?

«Pengö hyperinflation scene»
der am 1. August 1946 eingeführte ungarische Forint
fegte die wertlosen Millionen und Milliarden Pengö weg …
(photo: István Mizerák, courtesy of Magyar Nemzeti Múzeum, Budapest)

Den wenig ruhmvollen ersten Platz aller Hyperinflationen belegt immer noch die des ungarischen Pengö im ersten Halbjahr 1946 als unmittelbare Folge des Zweiten Weltkriegs. Die makabre Geldentwertung konnte schliesslich nur durch Einführung einer neuen Währung beendet werden: Der Forint wurde an den U.S.-Dollar gekoppelt und ersetzte den Pengö im Verhältnis 1:400'000'000'000'000'000'000'000'000'000; auf einen Schlag waren nun rübisstübis sämtliche umlaufenden Pengö-Noten weniger als 0.01 Forint wert. Unvorstellbar? Nein, Geschichte unserer Eltern.

«Yugoslavia 500 billions»
Jugoslawien, Banknote zu YUO 500 Milliarden, Belgrad Okt/Dez 1993;
der neue «Oktober-Dinar» ersetzte 1'000'000(!) vorgängiger Dinare
(big sowie die 1 Milliarden-Note)

Rang 3 belegt eine innereuropäische Hyperinflation unserer eigenen Zeit, verbunden mit dem Fall des autokratischen Tito-Jugoslawien und dessen wirtschaftlichen Zusammenbruchs, den Balkankriegen und der unsäglich werweissenden Ohnmacht Europas (yep, wir schauten zu). Kurz gefasst: An einem frühen Morgen Ende Dezember 1993 war die 500 Milliarden-Dinar-Note etwa USD 6 wert, und mit Glück konnte man dafür fast vier Liter Milch oder etwa zwei Dutzend Eier kriegen; mit Pech wog dieses papierne Versprechen am selben Abend bereits weniger als die Hälfte, und der Händler ging lieber früh zu Bett … Dank Dragoslav Avramović (1994–96 Präsident der serbischen/bundesjugoslawischen Nationalbank) und seiner Währungsreform vom 24. Januar 1994, als der sog. «Superdinar» (technisch «Novi Dinar») im Verhältnis 1:1 an die Deutsche Mark gekoppelt eingeführt wurde — praktisch eine neue Währung —, konnte diese Megainflation erschlagen werden. Das Ausmass dieses gewaltigen Verfalls von 1990 bis 1994 kann einfach berechnet werden: Der Neue Dinar entsprach einer Quadrilliarde Dinare vor 1990, das ist eine 1027 oder ausgenullt 1'000'000'000'000'000'000'000'000'000. Mathematische Spielerei? Nein, lebendige Erfahrung einiger Kollegen.

«Saint-Brieuc, Légué»
Simbabwe, Banknote zu ZBD 100 Billionen, Harare 2008 bzw. Januar 2009;
ein paar Stunden war sie ca. USD 0.5 wert
(big sowie die 10 Billionen-Note)

Die jüngste Hyperinflation (und möglicherweise bisher mächtigste, obwohl sie gegenwärtig noch Platz 2 belegt) ebbt in Simbabwe ab, dem früheren Rhodesien, einer rassistisch geprägten Kronkolonie und gleichzeitig Kornkammer des südlichen Afrikas. War vor dreissig Jahren Robert Mugabe für viele noch ein Hoffnungsträger, zeigt der Präsident seit längerem sein wahres Gesicht als irrer Despot und bigotter Bankrotteur. Betrug die Inflation 1998 bereits unangenehme 37%, erreichte sie im November 2008 mit 79'600'000'000% die höchste monatliche Rate (d.h. der Geldwert wird täglich halbiert bzw. die Preise verdoppeln sich Tag für Tag für Tag …). Mit einer geschätzten Arbeitslosigkeit von mehr als 90%, einer mittleren Lebenserwartung von 35 Jahren, der anhaltenden Dürre sowie Cholera-Epidemien und einer hohen HIV-Rate ist das Land, sind die Menschen am Boden. Am 29. Januar 2009 erlaubte der Finanzminister Patrick Chinamasa einigen lizenzierten Gesellschaften die Einführung von Parallelwährungen, wie den südafrikanischen Rand oder den U.S. Dollar. Im Februar strich die Regierung 12 Nullen, gab neue Noten aus — und suspendierte im April die Währung ganz. Seitdem sind Rand, Euro und USD Standard, ist die eigene Währung Zündmittel, nur noch Lüge. Far away? Nein, es betrifft hautnah Brüder und Schwestern.

«Inflated States of America»
The Inflated States of America, 1972, Gag-Note über «Frozen» USD 2 (big)

Die USA erlebten in den 1970ern als Folge des Ölpreis-Schocks eine ziemlich ungemütliche Inflation, die in eine Stagflation ausartete. Der damalige Präsident Richard Nixon versuchte mit einem gar nicht amerikanischen Mittel, ihrer Herr zu werden: Er fror mit dem Executive Order vom 13. Juni 1973 alle Preise und Gehälter für neunzig Tage ein; danach legte ein Pay Board die maximal zulässigen Steigerungen fest. Zwar bekam man so die Löhne in den Griff, aber die Preise suchten sich ihr Ventil z.B. im Schwarzmarkt und stiegen weiter an. Am Schluss blieb nur noch die Waffe der restriktiven Geldpolitik mit hohen Zinsen (1980 verlangte die Fed ganze 18%), es begann die Zeit der bis heute steigenden Auslandverschuldung, gekoppelt mit einer sinkenden Industrieproduktion und einem fallenden Dollar. 2008 sassen Drittstaaten auf mehr als einem Viertel der U.S. Staatsschulden von rund USD zehn Billionen (10 trillions) — und jetzt kommt noch die Finanzkrise dazu. Präsident Obama hat in weiser Voraussicht ein paar sachkundige Leute an Bord geholt, und man kann ihm nur viel Glück wünschen …

«trillion Dollar bill»
es gibt keinen echten «Trillion Bill» (oder Billionen-Note)
— der höchste jemals gedruckte Nennwert ist die USD 100'000-Note —,
aber was man sich darunter vorstellen kann, zeigt PageTutor

Für die Schweiz sehe ich es gelassener. Wenn die verantwortlichen Herren — Damen waren und sind weder im Präsidium noch im Direktorium der SNB zu sichten — es nicht verbocken (und kein Krieg dazwischenkommt), wird es bei uns nie so schlimm werden, aber ein paar Prozente mehr wird Geld in den nächsten Jahren sicher kosten. Eigentlich ist fast egal, was kommt: Einsteigen muss man dann, wenn es die meisten nicht tun, und zwar in Etwas, wovon man möglichst viel versteht. So gesehen sind die allerbesten Zeugen der Finanz- und Wirtschaftsgeschichte, nämlich bedeutende Aktien, Obligationen, Optionsscheine, Schecks und sonstige Wertschriften durchaus einen Investoren-Blick wert — gerade, falls ein mehr oder minder starkes inflationäres Szenario wahr werden sollte.

«Irving Berlin signed stock»
The Baltimore and Ohio Railroad Co., 1929, Zertifikat über 100 Stammaktien
zu USD 100, ausgestellt auf Irving Berlin und von ihm signiert auf dem stub

Die historischen Wertpapiere und Finanzdokumente haben sich diesen Herbst wacker geschlagen, aber der Andrang ist lockerer als auch schon. In solchen Zeiten kann man gelegentlich die Gunst ergreifen — nicht unbedingt, weil die Anbieter knapp bei Kasse sind, sondern wegen schleppender Nachfrage (und weil der USD noch nicht Boden gefunden hat, aber doch ziemlich tief ist). Eine Signatur des amerikanischen Komponisten Irving Berlin kostet im Autographenmarkt üblicherweise ein paar Tausend bis weit über USD 10'000 — versteckt unter «old stocks and bonds» war seine Unterschrift (dreifach offiziell beglaubigt durch die damalige Chase National Bank in New York) vor ein paar Tagen für wenige Hundert Dollar zu haben.

«Irving Berlin portrait»
Irving Berlin, 1888–1989,
«America's Master Songwriter» (Michael Walsh, Time 02.10.1989)
(courtesy of The Irving Berlin Music Company)

Irving Berlin (eigentlich Israel Isadore Beilin) gilt mit rund 1'500 Musikstücken als der amerikanische Liedermacher und Texter schlechthin. Er schuf den Jazz-Standard «Alexander’s Ragtime Band» (1911), den Evergreen «There's No Business Like Show Business» im Musical «Annie Get Your Gun» (1946) sowie eine Reihe von Revue-Produktionen für das Music Box Theatre am Broadway. Die inoffizielle amerikanische Hymne «God Bless America» (1918 komponiert und 1938 erstmals von Kate Smith am Radio gesungen) ist ebenfalls sein Werk, wofür ihn Dwight D. Eisenhower bzw. der amerikanische Kongress mit der «Congressional Gold Medal» ehrte. Berlin bekam ausserdem die «Medal for Merit» für seine Show «This Is the Army» — von Warner Bros. 1943 verfilmt mit einem heute weltbekannten Lieutenant —, die im Zweiten Weltkrieg durch die USA, Europa und die südpazifischen Kampfgebiete tourte, sowie die Ehren der französischen Fremdenlegion. Mehrere Grammys und Tonys erhielt Berlin auch, und am Walk of Fame liegt sein Stern beim 7095 Hollywood Blvd.

«Irving Berlin Holiday Inn poster»
Filmplakat, 1942

Weihnachten hatte für Berlin seit dem 25. Dezember 1928 einen bittersüssen Geschmack, denn damals starb sein Sohn Irving Jr. nur wenige Wochen alt an plötzlichem Kindstod. Doch gerade dieses Fest wurde 1942 zum Hintergrund seines allergrössten Hits: Ein Song für den Musikfilm «Holiday Inn» (der Film war übrigens Namensgeber der Hotelkette Holiday Inns), gesungen von Bing Crosby, sollte das wohl bekannteste weltliche Weihnachtslied werden — «White Christmas». Der mit einem Oscar prämierte Ohrwurm ist das in Dutzenden von Sprachen bislang meist aufgezeichnete Weihnachtslied mit über 500 Cover-Versionen, mehr als 150 Künstler nahmen das Stück auf (von Tony Bennett über Nat King Cole, Sheryl Crow, Placido Domingo und Ella Fitzgerald bis Willie Nelson, Elvis Presley, Frank Sinatra und Barbara Streisand), und allein Bing Crosbys Aufnahme ging seither mehr als 100 Millionen mal über den Ladentisch und ist damit die bis heute meistverkaufte Single.

«Bing Crosby White Christmas»

Für einen armen weissrussischen Judenjungen, der wegen der antisemitischen Pogrome 1891 als knapp Zweijähriger in die USA auswanderte, den Vater früh und seine erste Frau im honeymoon verlor, ganze zwei Jahre zur Schule ging, als Zeitungs- und Botenjunge mit Acht sein erstes Geld verdienen musste, selbst weder Noten lesen noch schreiben konnte und nur auf den schwarzen Tasten des Pianos spielte: nicht schlecht, oder?

In diesem Sinn wünsche ich einen glücklichen Rutsch in ein gesundes und helles Neues Jahr — happy 2010, good luck and take care!

«Robbie Williams — Live At The Albert»
für Liebhaber dieser Musik: Robbie Williams, Live At The Albert, 2001
(ein Spitzenkonzert des britischen «King of Swing»)

PS: Auf YouTube finden sich ein paar gelungene Aufnahmen zu Irving Berlin (ich beschränke mich auf knapp ein Dutzend seiner unzähligen Ohrwürmer)
• 1942: Das Duett «White Christmas» aus dem Film «Holiday Inn» mit Bing Crosby, Marjorie Reynolds und Martha Mears' Singstimme
• 1943: Irving Berlin himself mit seinem Song «Oh, How I Hate to Get Up In The Morning» aus «This Is The Army»; gegen Schluss ist an Berlins linker Schulter in Schwarz der legendäre Lieutenant zu sehen (der Song schaffte es sogar auf eine Briefmarke aus Gambia)
• 1946: Fred Astaire is «Puttin' On the Ritz»
• 1957: Sarah Vaughan & Billy Eckstine im Duett «Easter Parade»
• 1958: Kay Starrs Blues version von «How Deep Is The Ocean (How High Is The Sky)» — und erschienen im September 2010: Slowhand's version :-)
• 1983: Linda Ronstadts wunderbares «What'll I Do?»
• 1986: Liza Minnellis herrliche performance «I Love A Piano»
• 2001: Robbie Williams live at The Royal Albert Hall: «Let's Face the Music and Dance»
• 2002: Jane Monheit jazzing «Cheeck To Cheek» (a brilliant clip)
• 2002: Celine Dion auf der USS Harry S. Truman mit «God Bless America»
• 2006: Die argentinische Delta Jazz Band spielt «Alexander's Ragtime Band» mit der erfrischend freien María Eugenia Castro
• 2009: The Jennifer Keith Quartet goes «Blue Skies»
• … sowie Ordway Center's Producing Art Director James Rocco über Leben und Karriere von Irving Berlin (um 2008?)

PPS: Paul B. Farrell/MarketWatch wagte am 2. Februar 2010 einen tiefen Blick in den Abgrund der U.S.-Schuldenwirtschaft mit dem Kommentar zur «Global Debt Time Bomb».

Quellen:
¹ Kurt Schiltknecht, Trennung für immer, Weltwoche, Nr. 50, 10. Dezember 2009
² Holger Schmieding, The Swiss Way to Beat a Crisis, Newsweek, Dec 6/15, 2008
³ Ich bin kein Ökonom, und mein politisches Heu habe ich nicht auf derselben Bühne mit Christopher Chantrill, aber soweit ich es beurteilen kann, stimmen seine Zahlen; zudem ist usgovernmentspending.com umfassend und sehr benutzerfreundlich.
• Unterlagen der Schweizerischen Nationalbank (s. besonders Geschichte, Forschung und Medien)
• Prof. Steve H. Hankes Artikel «R.I.P. Zimbabwe Dollar» und der Vergleich «Hyperinflation: Mugabe Versus Milosevic»
• Interessant die Sammlung der Million Dollar Babies
• Eine Irving Berlin-Biographie der Parlor Songs Association
• Die offizielle site White Christmas Musical (das Musical läuft und läuft und läuft …)
• Die Agentur The Rodgers & Hammerstein Organization repräsentiert nicht nur Irving Berlin, sondern auch Werke von Duke Ellington, Andrew Lloyd Webber und Kurt Weill
• Hinweise auf American Classics — Music Box Revues
wikipedia.org (wie immer hilfreich, v.a. in der englischsprachigen Version) mit einer unvollständigen, aber hilfreichen Liste von Berlins Liedern
• im Text genannte und eigene Unterlagen
• … and last, but not least: PageTutor's herrlicher Joke Break :-)

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Die sehr geehrten Freibeuter
(09/06/29, ergänzt 10/09/04)

Viele historische Wertpapiere sind wegen ihrer offensichtlichen Schönheit, ihrer Graphik, der meisterlichen Stahlstiche oder herrlichen Lithographien beliebt. Es gibt aber auch völlig unscheinbare Finanzdokumente, die sich erst bei genauerem Hinschauen (und Lesen) als spektakulär erweisen.

«Corsaire Lively»
Korsarenschiff «Lively», Légue bei Saint-Brieuc 1810, Aktie über FFR 250

Mit der Pariser Seerechtsdeklaration 1856, als die Abschaffung der Kaperei beschlossen wurde, ist die Seeräuberei von allen Staaten geächtet (und wird seit Juni 2008 von den Vereinten Nationen sogar als kriegerische Handlung eingestuft). Bis Ende des Krimkriegs aber gingen Korsaren und Freibeuter zwar einem nicht alltäglichen, aber durchaus ehrbaren Beruf nach, wenn sie ausländische Handelsschiffe in internationalen oder fremden Gewässern kaperten und die Beute einsackten. Einige berühmte Persönlichkeiten waren (zumindest eine zeitlang) Korsaren, wie Sir Francis Drake, Sir Walter Raleigh, Klaus Störtebeker und der Malouine Robert Surcouf («le tigre des sept mers» und Schrecken der Engländer, dem auch ein Ernst von Linden 1882 einen Roman widmete; eines der vielen Pseudonyme von — yep: Karl May).

«Livery rs partly»
ab 18. April 1810 konnte Monsieur Bonamy als Aktionär Nr. 42 teilnehmen
«an allen guten und schlechten Ereignissen, wie es Gott gefallen wird» (big)

Gegen eine Grundgebühr erhielten Reeder und andere Entrepreneurs von der Regierung eine lettre de course (Kaperbrief) ausgestellt, und damit durfte die Mannschaft frei Jagd auf alles machen, was fette Beute versprach: Die Seeleute konnten jedes «feindliche» Schiff entern und plündern, nach Bedarf Gefangene machen und gegen ein Lösegeld wieder freilassen oder (wenn sie es für opportun hielten) sogar Städte angreifen und ausrauben. Nicht nur irische oder spanische Küstenorte fürchteten die Korsaren: Die lizenzierten Banditen zur See waren weltweit berüchtigt, denn sie scheuten keine Distanz und weiteten ihre Raubzüge auch auf Nord- und Westafrika sowie mittelamerikanische Gebiete wie Kuba oder Kolumbien aus.

«Surcoufs' Auguste stock»
Korsarenschiff «L'Auguste», Saint-Malo 1810, Aktie zu FFR 1'000;
eine Brigg (Zweimaster) mit etwa 100 Mann Besatzung und bewaffnet mit
«14 Kanonen, Tromblons, Gewehren, Pistolen, Säbeln, Dolchen, Lanzen,
Bomben, Granaten, etc.»; das Kapital lag bei FFR 130'000, wahrscheinlich
gestückelt in 130 Anteile (big); signiert ist der Titel von Robert Surcouf
(Photo: courtesy of Mario Boone)

Surcouf, das prominente Beispiel, nahm es dabei mit der fremden Flagge nicht immer genau und holte sich seinen Ertrag auch von Schiffen der Compagnie Française des Indes. Doch seine Heimatstadt Saint-Malo (die wegen ihres historischen Stadtkerns und ihrer Festungsanlagen berühmte Stadt an der bretonischen Côte d'Émeraude) nahm ihm dies nicht allzu übel, schliesslich fiel ein Teil der Beute nach akribischer Prüfung und Inventarisierung durch die Admiralität an die Behörden; und das Edelmetall ging an den König.

«Malouinière du Puits Sauvages»
in der Aufsicht das Anwesen von Louis Gouttiers, einem Reeder, Korsar und
Freund von Surcouf (courtesy of Jean Gauttier, dazu eine grosse Bildfolge)

Wie bei jedem Geschäft, das man nicht alleine stemmen kann oder will, sucht der Unternehmer nach Risikokapital und gibt dafür Aktien oder Anteilscheine aus, und wie jede anständige Firma, führten auch die staatlich konzessionierten Piraten säuberlich Buch über ihre Geschäfte (als Beispiel die «comptabilité» des Korsarenschiffs «Le Dragon»). Deshalb gibt es Wertschriften und Finanzdokumente aus diesem merkwürdigen und aus heutiger Sicht kriminellen Gewerbe.

«Surcoufs' Renard prospectus»
Prospekt zu Surcoufs Kutter «Le Renard»: Das Kapital lag bei FFR 80'000,
wahrscheinlich gestückelt in 80 Aktien zu FFR 1'000 (big)
(Photo: courtesy of Mario Boone)

Als der bretonische Reeder François Louis Rouxel de Villeféron (1789–1866) beschloss, im Hafen von Légué bei Saint-Brieuc die «Lively» zu bauen, berechnete er die voraussichtlichen Kosten — zwischen 15'000 und 16'000 französische Francs — und gab 64 Anteile zu je FFR 250 aus. Geplant war ein Côtre (ein schneller, wendiger Einmaster mit grossem Segel) für 18–20 Seeleute, kommandiert von Kapitän Sauveur und bewaffnet mit «kleinen Kanonen, Stussbüchsen, Gewehren und anderen Waffen». Der Reeder sorgte für die Bewilligungen und erstattete alle staatlichen Kommissionen und Abgaben, den Aktionären stand die Beute (nach Abzug aller Kosten des Reeders) anteilmässig zu. Die Einzelheiten wurden vorderseitig fein säuberlich im Reglement aufgeführt, damit ja niemand später etwas zu motzen hatte (s. die Punkte 6° und 7°).

«Le Renard»
so ähnlich dürfte Rouxels «Lively» kurz nach 1810 ausgesehen haben:
«Le Renard» (Nachbau, das Original wasserte 1812),
ein Korsarenschiff des berühmten Robert Surcouf aus Saint-Malo (big);
(Photo: Remi Jouan/wikipedia.fr; GNU Free Documentation License)

Solche Anteile an Korsarenschiffen sind ziemlich selten, weil es nicht viele derart organisierte Unternehmungen gab (ich selbst kenne nur eine Handvoll) und das benötigte Kapital im Verhältnis zu den üblichen Industrie- und Handelsgesellschaften doch eher klein und in nur wenige Anteile zerstückelt war.

«Saint-Brieuc, Légué»
Hafen und Leuchtturm von Légué bei Saint-Brieuc, ca. 1900 (big)

Saint-Brieuc ist immer noch in (fast) aller Munde — der Grund ist aber viel naheliegender: Die Jakobsmuscheln aus dieser Gegend werden auch «perles blanches» genannt, gelten als die feinsten der Grossen Pilgermuscheln und machen mit jährlich über 6'500 Tonnen fast die Hälfte des französischen Fangs aus.

«bic war poster 1918»
verarbeitet werden die eher kleinen Jakobsmuscheln aus Saint-Brieuc
(wie auch andere Delikatessen, z.B. der filet de thon blanc Germon)
von der Konservenfabrik La Pointe de Penmarch in Douarnenez

PS: Reuters meldete am 1. Dezember 2009, die Seeräuber am Horn von Afrika hätten sich genossenschaftlich organisiert und einen 24/7-Handelsplatz für entsprechendes Venture Capital auf die Beine gestellt. Sie starteten Mitte Jahr mit 15 eingetragenen «maritime companies» (wie der Ex-Pirat und heutige Investor «Mohammed» Reuters erklärte), vier Monate später seien es schon 72 Unternehmungen. Man muss nicht selbst auf Beutezug gehen, sondern wird Teilhaber an Gewinn und Verlust: Gern gesehen ist natürlich Bargeld, willkommen sind aber auch zweckmässige Sacheinlagen (wie Nachtsichtgeräte, Sturmgewehre und Aussenbordmotoren) sowie alle auswertbaren Informationen über greifbare Handelsschiffe und sonstige Zielobjekte.

«cashed bucks»

Die von Kolonialherren, Diktatoren und Warlords in einem jahrzehntelangen Raubzug völlig zerstörte Region gehört zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten der Welt, und so sind die erpressten Summen geradezu Manna. Kein Wunder, meint der stellvertretende Sicherheitsoffizier des Hafenstädtchens Haradheere, Mohamed Adam: «Piracy-related business has become the main profitable economic activity in our area and as locals we depend on their output. The district gets a percentage of every ransom from ships that have been released, and that goes on public infrastructure, including our hospital and our public schools». Die 22jährige geschiedene Sahra Ibrahim brachte den von ihrem Ex-Mann als Unterhaltszahlung übergebenen Raketenwerfer ein und ist mit dem Investment bisher zufrieden: «I am really happy and lucky. I have made $75'000 in only 38 days since I joined the ‚company’».

«pirate stock exchange in Haradheere»
die genossenschaftlich organisierte «stock exchange» vor einem Gebäude
der ehemaligen Dalsan Bank in Haradheere, an der somalischen Küste
(Photo: courtesy of Mohamed Ahmed/Thomson Reuters)

«Die Aktien sind frei handelbar und jedermann zugänglich», erläutert der zum Kapitalisten avancierte «Mohammed», denn «we've made piracy a community activity». Urige Marktwirtschaft in ihrer reinsten Form — vielleicht kann man auf den Bildschirmen bald auch den CoCoX (Corsair Cooperative Index) abrufen und verfolgen? Dann fehlt nur noch der von einer smarten Investment Bank ausgebuffte goldindexierte «Surcouf Premium Fund» …

PPS: Hauke Friederichs, Redaktor im Politik-Ressort der ZEIT, beschreibt in seinem Bericht vom 6. August 2010 die Trostlosigkeit am Golf von Aden, 50 Jahre nach der Unabhängigkeit Somalias: «Hort der Piraten, Warlords und Terroristen» (btw: Friederichs' wuchtiger blog).

Quellen:
• historisches Material zum «Renard» der Association du Cotre Corsaire, Saint-Malo
• Les amis du Turnegouet über: Le port du Légué et son évolution
• im Text genannte und eigene Unterlagen

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Wo Morgen früher anbricht
(09/05/04)

Aus dem Reich der Mitte kommen nicht nur vier grosse Erfindungen — das Papier und der Buchdruck, der «nasse Kompass» sowie das Schwarzpulver —, sondern auch die Nudeln, das Porzellan, die Schubkarre, die Zucht der Seidenraupen und last but not least das Papiergeld: Der Jiaozi, die allererste allgemein als gültig anerkannte Banknote zirkulierte nachweislich bereits ums Jahr 1024 in der Provinz Szechuan; allerdings wurde bisher kein einziges Exemplar gefunden.

«Ming note»
«Ming-Note», ca. 34 x 22 cm, Druck auf bläulichem Maulbeerbaum-Bast (big)

Die älteste erhalten gebliebene Banknote der Welt ist die sog. «Ming-Note»: ein Geldschein über 1 Kuan oder 1'000 Käsch aus der Zeit des Grossen Krieges, herausgegeben unter Kaiser T'ai Tsu — dem Gründer der Ming-Dynastie — in der Herrschaft Hung-Wu (1368-1398).

«cash and cash string»
10 Käsch aus der Kaiserschaft Hung-Wu und ein sog. «cash string» —
vermutlich nicht Ursprung des heutigen Begriffs für unmittelbare Liquidität
(courtesy of moneymuseum)

Man streitet sich, ob die «Ming-Note» eine Anleihe gewesen sei: Nein, denn sie diente nur als (im wörtlichen Sinne) leichteres Tauschmittel — anstatt 1'000 Käsch in schwerer Bronze — und war auch kein irgendwie verzinsliches Wertpapier zugunsten einer irgendwelchen längerfristigen Finanzierung; es war keine Investition, sondern staatlich garantiertes Geld. Übrigens, zur Garantie: Der Kaiser kümmerte sich nicht um die Deckung, und so kam es während seiner Herrschaft zur ersten flagranten Papiergeld-Inflation, so dass er wieder auf wägbares Hartgeld umsteigen musste …

Die Briten gehörten zu den ersten Kolonialmächten in Asien und gründeten gleich mehrere Handelsgesellschaften und Banken. Eine der frühesten war die in Bombay beheimatete Chartered Mercantile Bank of India, London & China, die 1853 ihren Sitz in Hong Kong eröffnete. 1891 firmierte sie um in Mercantile Bank, wurde 1959 geschluckt von der Hongkong and Shanghai Banking Corporation — 1865 gegründet vom Schotten Thomas Sutherland in Hong Kong mit Tochter in Shanghai, heute HSBC —, dann weiterverkauft 1984 an Citibank und schliesslich 1987 an die Bank of Tokyo-Mitsubishi UFJ, Ltd. (BTMU).

«Chartered Mercantile Bank»
die teuerste Banknote der Welt — im Januar 2007 an der Hong Kong-Auktion
des Londoner Hauses Spink zugeschlagen für HKD 750'000 (ca. USD 100'000):
Chartered Mercantile Bank of India, London & China — Hong Kong Branch,
um 1858, Banknote über HKD 25, mit Vignette der gekrönten Britannia;
Stahlstich von Batho & Co., London (courtesy of Spink)

Frankreich zog es ebenfalls nach Fernost, und ein geläufiger Beleg ist die Aktie der Banque Industrielle de Chine (BIC). Am Anfang, 1912 stand eine Vereinbarung zwischen französischen Kaufleuten und der Regierung in Peking, ein Joint Venture auf die Beine zu stellen: Um die Vormachtsstellung der englisch beeinflussten HSBC zu brechen und eine kontinentaleuropäische Investmentbank in China aufzubauen, gründete man am 15. März 1913 die BIC mit Hauptsitz in Paris, einem zweiten Standbein in Shanghai sowie Agenturen in Japan und Sibirien, in Belgien, England und den USA. Finanziert wurde die Unternehmung zu zwei Dritteln mit französischem Kapital (FFR M30) und einem Drittel Anteil des chinesischen Staates mittels eines Vorschusses der zu gründenden Bank (yep, solche Konstruktionen sind nicht erst auf unserem Mist gewachsen). Der Bank war schliesslich doch kein Glück beschieden, aber zumindest hinterliess sie hübsche Zeitzeugen:

«Banque Industrielle de Chine»
Banque Industrielle de Chine, Paris 1920, Stammaktie zu FFR 500 (big); mit
Abbildungen der Chinesischen Mauer und aus der Verbotenen Stadt (einem
Wahrzeichen Pekings): unten das bewachende Löwenpaar, im Unterdruck die
Halle des Erntegebets, das wichtigste Gebäude im Himmelstempel, worin die
Kaiser der Ming- und Qing-Dynastien jedes Jahr für eine gute Ernte beteten

Die Bank betrieb hauptsächlich das Anleihe- und Kreditgeschäft mit China. Sie erhielt dann 600 Mio zur Finanzierung der (erst viel später gebauten) Eisenbahn von Chongqing nach Guangzhou (aka Kanton — btw sagt man von den Kantonesen, sie ässen alles was schwimmt, fliegt oder vier Beine hat, ausser U-Booten, Flugzeugen und Tischen :-) und sie durfte sogar Banknoten ausgeben. Doch internationale Konflikte, hausgemacht anarchisch-instabile Politik, die systemimmanente Korruption und das Ende der Kolonialherrschaft trieben sie 1921 in den Konkurs. Die Firma wurde aber erst 1950 liquidiert, denn die chinesische Regierung hatte die BIC 1925 wieder flott gemacht (ein «bail out» im heutigen Sprachverständnis), und die Aktien der Gesellschaft wurden noch bis 1934 als Hoffnungswert in Paris gehandelt, ohne jemals wirklich wieder an Wert zu gewinnen.

«bic war poster 1918»
Banque Industrielle de Chine, 1918, 4. Kriegsanleihe,
Plakat von J. Basté, Imprimerie Crété, Paris (courtesy of Net Mole)

Ein Gedankensprung back home/to the future plus ein paar facts Ende April: Im Investment Banking sitzt Credit Suisse weltweit auf Platz Neun, aber betr. Mergers & Acquisitions verdrängte sie im lateinamerikanischen Geschäft Citi vom Siegerpodest — C fiel aufs Holz, hinter Goldman Sachs und Banco Itau —, sie belegt im Nahen Osten den zweiten Rang (nach BofA und vor JPMorgan), und in China holt sie Leder (nach UBS, Morgan Stanley und BOC International, aber vor Nomura). Trotz der irren Katastrophe, ist UBS heute im klassischen IB — Kapitalmarkt/Börsengänge, M&A und Wertpapierhandel (ohne das tückische Gebastel im derivativen Geschäft) — weltweit die Nummer Vier, im asiatischen Raum holt sie nach NMR Silber (in China Gold), und in der Street kratzt sie an der Bronzemedaille. Ob die Goldmänner (trotz blendender Bilanzen) noch lange den Macho markieren können, ist fraglich, denn JPM ist nicht nur clever, sondern auch smart — und die beiden Swiss IBs stehen (global & gemeinsam betrachtet) Monat für Monat besser da.

«China Kiangnan Cement stock»
China Kiangnan Cement Co. (big), 1948, Zertifikat der H-Tranche über
1 Million Aktien zu je $10; damals und heute einer der grössten chinesischen
Zementhersteller, nun firmierend als Nanjing Jiangnan Cement Co. Ltd.;
rückseitig eine Steuerstempelmarke von 1952 über 200 alte Yuan, nach
der Währungsreform von 1959 sind dies heute CNY/RMB 0.02 ≈ USD 0.003
(THX to Yuan Shen for the details and explanatory notes!)

«Es ist nicht weise, das zu verteidigen, was man ohnehin aufgeben muss» wusste schon Seneca anno dazumal, und das Verzetteln ist (besonders in schlechten Zeiten) viel zu teuer; unter Kollegen kann man aber einerseits die Kräfte bündeln und andererseits die Jagdgebiete profitabel aufteilen.

«Shanghai Yuyuan Market stock»
üblicherweise tragen viele chinesische Zertifikate gar keine Abbildung —
abgesehen von ein paar hübschen Ausnahmen, sogar aus jüngerer Zeit:
Shanghai Yuyuan Market Limited Company, 1987, Aktie über CNY 100
(big)

Quer hinterfragt & vorwärts gedacht: Wieviele global tätige schweizerische Investmentbanken sind dem Finanzplatz Schweiz dienlich — und volkswirtschaftlich überhaupt tragbar? Ist gegenwärtig und mittelfristig mehr als genau eine optimal? London hat sich für die nächsten Jahre selbst ausgebremst, die Meistersinger der Dillon Read Capital Mgt kümmern sich nun um die eigene Boutique und sind wohl bis auf weiteres unabkömmlich, aber CS und UBS können ihre IB-Geschäftsbereiche in eine gemeinsame Tochter einbringen und dabei die erfolgversprechende Mannschaft zusammenstellen: Eine «Confederate IB» im Verhältnis 51:49 — oder ähnlich, Ehre gebühre dem weniger Gebeutelten bzw. dem nachweislich Geschickteren — mit Sitz in der Schweiz und dem Sprungbein in Hong Kong oder gar Shanghai. Eine asiatisch befruchtete Investment Bank wäre zwar weniger abenteuerlich, dafür mit klangvollerem Nachhall, und der Osten bietet offensichtlich spannende Herausforderungen. Zweifellos werden auch die USA ihre Kurve kriegen, aber ein «Rückzug» würde Raum schaffen, um bei Gelegenheit richtig zuzupacken und deftig einen Sonnenplatz zu ergattern.

«Bank Of Communications 1914 2002»
die Bank of Communications, gegründet 1908 als eine der ältesten nationalen
Notenbanken, eröffnete 1934 eine Tochter in Hong Kong, um das Übersee-
geschäft zu unterstützen; BOCOM gehört heute zu den fünf führenden
Geschäftsbanken Chinas; Banknote zu CNY 5, Shanghai 1914 (
revers)
sowie Postkarte von 2002 (State Postal Bureau)

… und das sog. «onshore wealth management», die Vermögensverwaltung vor Ort? «divide et impera», partnerschaftlich pragmatisch aufgeteilt: Für CS und ihre New Yorker Tochter ist das Amerika-Geschäft unproblematisch gewinnbringend, und UBS mit ihrem Ableger in Singapur fährt bereits die goldene Asien-Schiene. So what? Erfolgreiche Jäger wissen den Nutzen der Reviere zu schätzen. Später, bei guter Gelegenheit darf man ja wieder gründlich über die Bücher …

Wie sagte Max Frisch? «Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.»

PS: Am 24. August 2009 erschien Konrad Hummlers Anlagekommentar Nr. 265 «Abschied von Amerika» der Bank Wegelin & Co. — naturgemäss provokant, aber wie üblich lesens- und bedenkenswert; dazu die kurze Pressemitteilung und ein Interview auf NZZ Online — sowie einen Monat später in der ZEIT Ralph Pöhners Analyse «Ist der große Bruder böse?».

Quellen:
• Zhaojin Ji, A History Of Modern Shanghai Banking: The Rise And Decline Of China's Finance Capitalism, M.E. Sharpe, Armonk/NY 2003
• John E. Sandrock, Ancient Chinese Cash Notes — The World’s First Paper Money, parts 1 and 2, August 2007
• John E. Sandrock, The Foreign Banks In China, parts 1, 2 and 3, May 2008
moneymuseum.com, die Museumsplattform der 1999 von Dr. Jürg Conzett ins Leben gerufenen Sunflower Foundation
• Financial News/Dealogic
• im Text genannte und eigene Unterlagen

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reset!
(09/03/20)

Der Winter war frostig und lang … Es begann vor knapp einem Jahr mit dem Wackelpudding amerikanischer Banken, dann im Hochsommer die monströsen Preise für ein Fass Öl (sowie die kranke Zockerei auf Nahrungsmittel!), und schliesslich im Spätherbst der tiefe Fall: der Kollaps einer global gedopten Schuldenfinanzierungsmaschinerie, die lange kaschierte, aber tatsächliche Pleite des «Systems».

«Kentucky Fuel Co. stock certificate»
Kentucky Fuel Company, Saco/ME 1890, Zertifikat zu 100 Stammaktien (big);
mir bekannt sind insgesamt nur gerade 14 Exemplare, alle auf den
Präsidenten N.H. Harris ausgestellt (dieses Stück ist vorder- und rückseitig
handsigniert
); der Firma gehörte anscheinend u.a. diese Mine in Harlan/KY

Dann wurde es kalt, bitterkalt, mit allen bekannten und befürchteten Auswirkungen; die weltweiten Verluste von bisher geschätzten USD 50'000'000'000'000 sind nur der buchhalterische Erfolg dieser Bonanza. Und was passiert? Anstatt sich an einen Tisch zu setzen, sich zusammenzuraufen und gemeinsam eine umfassende Lösung zu suchen, wird dumm/dumb linksrechts eingedroschen, laut zum nächsten «bank bashing» getrommelt und feige der Schwarzpeter weitergereicht. Zunächst wähnt man sich im falschen Film, muss aber bald erstaunt feststellen: Dieser Streifen ist der blockbuster, und er läuft überall — aber hallo?! Lieber anbiedernd dröhnen und wursteln, anstatt ernsthaft grübeln und bewegen?

«Stormont Mining Company of Utah, 1886, vignette»
kindlich ist hübsch, doch kindisch ist schlicht daneben …;
Stormont Mining Company of Utah, 1886, Mittelvignette
(big)

Es gab Zeiten, da gingen befreundete Nationen guten Willens auf rechtsstaatlicher Ebene miteinander um, nämlich anständig. Doch nun steht dem Einen, dem Anderen und dem Dritten das Wasser mehr als bis zum Hals — und kaum ein Politiker wagt den Wählern zu sagen, wieviel von dieser Brühe im eigenen Bottich gegoren wurde und welchen Auslöffel sie ihren Kindeskindern vererben werden. Offenbar darf man heute drangsalieren und den langjährigen buddy in bester Mobster-Manier erpressen, und ebenso kann man hoch zu Ross in schnoddrig billigem Stakkato mutwillig Steinbrücken zerbröckeln. Alles armselig kurzsichtige Holzwege, die im Nassen gefährlich rutschig sind; der nächste Regen kommt bestimmt. Mag die Peitsche noch so sexy knallen — sie ist weder ein dichter Regenschirm noch ein starker Stock … und: Yep, es wäre heute unschicklich, Soldaten hinschicken zu wollen, und ungeschickt dazu, denn die beiden letzten Male gings bekanntlich in die Hose (das nur nebenbei).

«Société de Banque Suisse/Swiss Bank Corporation, 1962, check»
Schweizerischer Bankverein, Lausanne/New York, 1962, Scheck über USD 53,
zugunsten der «Custódio de Almeida & Cia.», einer in Brasilien beheimateten
Kanzlei für Markenrechte und geistiges Eigentum mit Bankverbindung zur
Manufacturers Hanover Trust Co. in New York (1905 geboren als Citizens
Bank of Brooklyn, geschluckt durch Chemical, heute JPMorgan Chase)
(big)

«facts are stubborn things» — ein paar Fragen: Wer leitete die nun maroden Landesbanken, wer zeichnete verantwortlich für die freaky Maes'n'Macks und liess Lehman kalt den Buckel runter rutschen? Wohin flossen die tonnenschweren Steuereinnahmen der letzten Jahre, Jahrzehnte, und wer profitierte davon? Warum dürfen angelobte Vorbildpfaffen, sogar Finanzminister ungestraft Einkünfte vergessen, wenn Normalsterbliche genau deswegen kriminalisiert werden, und wieso eigentlich schulden international tätige Beamte gar keine Einkommensteuer? Wer kassiert auf den gekrönten Inseln, im tiny First State und an Little Cubas Palmenstränden? Wessen Partei-Obristen verschoben ihre Pfründe? Welche «Public Service»-Chefs und Gewerkschafts-Bosse suchten eine Fluchtburg? Das alles und noch viel mehr ergäbe eine äusserst spannende Liste …

«Société de Banque Suisse/Swiss Bank Corporation, 1962, check»
… wer strandete denn in FL — die Zweigstelle der heimischen Sparkasse,
das Konstrukt zur Steueroptimierung, ein felsenfester Trust oder gar eine
globale Geldwaschanlage? nahhh, zu komplex gedacht, es ist schlicht

Anders gefragt: Wohin versetzen Regenten und Regierte aus aller Welt ihre Einkünfte, weshalb flieht so viel Kapital und Know-how u.a. in die Schweiz, warum gehen Gewinn und Grütze dem eigenen Land verloren? Ist das im Dezember 2006 eingeführte formalisierte, prämierende Denunzieren der einzig mögliche, der richtige Weg? Das sind btw Hausaufgaben — und die Frage ist nicht nur philosophischer Natur, sondern politischer Alltag: Sind denn Bürger souverän oder Untertanen?

«Little Miami Railroad Co., 1853»
Little Miami Railroad Company, 1853, Zertifikat über 10 Stammaktien;
der Name kann täuschen: Die Firma hat mit Miami/FL nichts zu tun, sondern
wurde 1836 als zweitälteste Eisenbahn Ohios gegründet und verband
Cincinnati entlang des Little Miami River über Xenia mit dem rund
84 Meilen entfernten Springfield; die Gesellschaft wurde 1869 an die
Pittsburgh, Cincinnati and St. Louis RW/Pennsylvania RR verpachtet
(big)

Die Schweiz lechzt nicht nach Blutgeld, sie verweigert kriminelle Bündel und lehnt selbst das Waschen der Kaffeekasse allfälliger Despoten und ihrer Coucousins ab — wie halten es andere damit? Die Eidgenossenschaft muss weder kuschen und sich aufs Rütli oder gar ins Reduit zurückziehen, noch soll sie die Wehranleihe neu auflegen und Ressentiments aus der Mottenkiste hervorholen. Die Schweiz ist stark genug, sie hat ein paar sehr gute Trümpfe in der Hand, aber es fehlt an Selbstvertrauen und Phantasie, die Moralinsucht grassiert — und vor allem muss man endlich begreifen: Das liturgisch vorgetragene Selbstzerfleischungstheater nützt allen, nur nicht uns. Kein Wunder, zeigen die mächtig Lustigen der Schweiz die Tür (aber man muss auch nicht auf jede x-beliebige G'whatever PolitParty tanzen gehen …).

«Wehranleihe der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 1936»
Wehranleihe der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 1936,
3%-Obligation Lit. A über CHF 100, Faksimile von Albert Meyer,
Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung von 1915 bis 1929
und Mitglied des Bundesrats von 1930 bis 1938
(big)

Natürlich ist längst nicht jeder peer von echtem Kaliber. Es stimmt: Gezüchtet (und vergoldet) wurde der gemeine Virus in New York, Washington und London (Frankfurt, Zürich und andere Lokationen infizierten sich idiotisch-blind mit dem selben Geldfieber). Selbstverständlich soll man rückwärts schauen, um in der Diskussion aus Fehlern zu lernen. Unwidersprochen: Der Kapitalismus als geiler Selbstzweck ist kein Weg. Etc. etc. etc. — aber was nun, wie weiter? Haben wir nur Schönwetter-Strategen, die bestenfalls nette Schulreisli auf die Reihe bringen? Wo sind die Pfadfinder, die Scouts, oder um Lee Iacocca zu zitieren: «Where have all the leaders gone?». Wer schaut vorwärts, zeichnet einen Entwurf, krempelt die Ärmel hoch und packt an?

Heute hat der Frühling 2009 Einzug gehalten. Viel wärmer ist es zwar noch nicht geworden, aber wäre es nicht an der Zeit aufzuhören, am roten Knopf rumzufummeln — wäre es nicht längst fällig, mutig den Reset-Knopf zu drücken? So könnte der kratzende Wollpullover entsorgt und durch ein frisches T-shirt ersetzt werden.

PS: Ich kann es mir zum Schluss doch nicht verkneifen:

«ROE 18%»
Welche staatlich geführte Bank versprach 2002
«systematisch» eine Eigenkapitalrendite nach Steuern von 18%?

…, und wer sass damals im «Supervisory Board» — und weshalb stellte dieselbe Bank u.a. solche Töchter auf die Welt: abc Coleman Ltd., abc International S.A. und abc International Services, abc Moorgate Ltd., abc New York Capital Investment oder abc Securities Inc.? Hier die Einzelheiten.

PPS: Am Schweizerischen Bankiertag vom 17. September 2009 hielt Pierre G. Mirabaud seine letzte Präsidialrede — merci Monsieur! —, und am selben Tag erschien in der ZEIT Clemens Wemhoffs Artikel «Von wegen Steuer-‚Recht’!» (PDF).

Quellen:
• im Text genannte und eigene Unterlagen
• Eduard Galotti, Häuptling Gespaltene Zunge, BILANZ, 27. März 2009

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Inauguration Day
(09/01/20)

Heute ist ein herausragender Tag, und er wird uns in Erinnerung bleiben — aber ghidelli.net ist nicht als blog gedacht, und ich will nicht langweilen. Deshalb sollen Bilder genügen, diesen besonderen Dienstag festzuhalten.

«Baltimore and Ohio RR Co., 1900»
«America» ziert das Zertifikat der Baltimore and Ohio Railroad Co. vom 1900,
im Hintergrund das Kapitol
(big)

«Lincoln Printing Co., 1961»
Abraham Lincoln auf einem 100er-Zertifikat der Lincoln Printing Co. (big)

«U.S. Centennial International Exhibition, 1876»
das Aktienzertifikat zur Weltausstellung in Philadelphia/PA anlässlich der
Hundertjahrfeier der Vereinigten Staaten von Amerika, 1876
(big)

Als Italiener und 300C-Fahrer wird mir der 20. Januar sowieso doppelt in guter Erinnerung bleiben, denn Chrysler und FIAT haben heute eine strategische Allianz vereinbart ;-)

«FIAT S.p.A., 1961»
FIAT S.p.A., Torino 1961, Stammaktie LIT 500;
die
Abbildung zeigt das Gelände des «Mirafiori»-Werks in Turin;
signiert ist der Titel von Vittorio Valletta,
CEO von 1946 bis 1966 und Nachfolger des Gründers Giovanni Agnelli

Zwar könnte man einwerfen, ein Blinder und ein Lahmer hätten zusammengefunden (und es ist sicher keine romantische Liebesheirat), aber erstens ist heute ein Tag des Aufbruchs und der Zuversicht, zweitens traue ich Sergio Marchionne noch einiges mehr zu — und last, but not least: Sowohl FIAT wie Chrysler bringen lange Erfahrung und tiefes Know-how mit, sie haben Automobilgeschichte geschrieben, ihre Produkte sind weitaus besser als das mutlose Marketing anbieten mag, und sie ergänzen sich ausgezeichnet. Auguri & good luck!

Quellen:
• eigene Unterlagen

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